010/250: Maddalena Casulana Mezari (2024)

Text · Datum 8.1.2020

Von Maddalena Casulana Mezari – wohl geboren um 1544 in der Provinz Siena – kann man nicht behaupten, sie sei bis heute noch nicht Gegenstand musikwissenschaftlicher Eruierungen gewesen. Sie, über deren Leben trotzdem nicht allzu viel bekannt ist, war schließlich die offenbar erste Komponistin der abendländischen Musikgeschichte, die sich als solche – ihrer Fähigkeiten und der Qualität ihrer Werke bewusst – bezeichnete. Diese unbedingte Verlautbarung – im Grunde so durchbrechend wichtig, wie die erstmalige »Genie«-Betitelung eines Komponisten: Josquin Desprez (ca. 1450–1521) – ging mit der Drucklegung ihrer Werke einher.

Durch Mezaris ungemein eindrückliche Beherrschung der Laute verschaffte diese sich sogar bei Orlando di Lasso (1532–1594) Gehör: Wenn eine Virtuosin ihr Instrument so staunenswert beherrscht, dann sollten wir vielleicht ihre selbstkomponierten Werke ebenfalls anschauen – so könnte die Überlegung gewesen sein. Kompositionen aus dem Katalog Mezaris wurden tatsächlich auf Geheiß di Lassos anlässlich einer prominenten herzoglichen Hochzeit in München 1568 aufgeführt. Di Lasso, der – aus dem heutigen Belgien stammend und später namentlich italianisierte – Vokalmusik-Meister, als Sängerknabe aufgrund seiner Stimmfähigkeiten zwei Mal entführt, war seit 1556 am Münchner Hof von Albrecht V. (der Großmütige) zu höchsten Konditionen angestellt.

Die Tatsache, dass die Werke der als durchsetzungsfreudig und selbstbewusst geltenden Lautenistin, Komponistin, Pädagogin, Textdichterin und Sängerin Mezari in Venedig in Druck genommen und verbreitet wurden, zeigt das große Interesse von Institutionen und einzelnen Musiker*innen der Zeit in Norditalien und darüber hinaus. Ihre dementsprechenden Kompositionen erschienen als Teil der Sammlung Il Desiderio (»Die Begehrlichkeiten«) in den Jahren 1566 und 1567. Und auch der Umstand, dass in dieser Kompilation außerdem Werke von männlichen Musicus-Größen der Zeit – Cipriano de Rore und di Lasso – enthalten waren, beweist die Anerkennung, die vollwertige Akzeptanz dieser einen Frau in der zweiten Hälfte des noch mehrheitlich vom alten kirchenmusikalisch-polyphonen Stil – der später »Prima pratica« genannt wurde – geprägten 16. Jahrhunderts.

An eben jenen Meistern – de Rore und di Lasso – orientierte sich Mezari; an jener Musik also, die in bedeutender Weise von Compositeurs zur Meisterschaft geführt wurde, welche – zu einem erstaunlichen Großteil aus franko-flämischen Regionen stammend – die polyphone Schönheit im demütig-kirchlichen und gelehrig-intellektuellen Sinne in den Vordergrund stellten. Die meisten Kompositionen dieser Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts wurden für fünf Gesangsstimmen angelegt, die von einem lateinischen, geistlichen Text ausgehen; die katholische Kirchenmusikpolitik strebte dabei stets an, die Selbstverständlichkeit der Musikalisierung des lateinischen Bibelwortes hochzuhalten. Verlangt wurde eine strenge Akzeptanz der vorgeschriebenen Musikgesetzgebung; individuelles Künstlertum und andersartig-kreative Ausbrüche sollten kleingehalten werden: demütig vor Gott, der Institution und der bereits bestehenden – quasi für »ewig« konstituierten – Praxis.

Diese Praxis wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend hinterfragt – und um 1600 langsam aber deutlich markierbar von der »Seconda pratica« abgelöst, welche sich anschickte, die textverschlingende, notenverschlungene Mehrstimmigkeit zugunsten einer transparenteren Machart aufzugeben; im Vordergrund sollte das Wort in seinem ganzen aufgeladenen Ausdruck stehen – im Sinne eines verständlicheren und niedrigschwelligeren Zugangs zu Wort, Musik und Affekt. Im Zuge der Entstehung der Gattung Oper – durch das praktische und theoretische Mitwirken von Komponisten wie Jacopo Peri und Claudio Monteverdi – setzte sich auch die »Monodie«, die Praxis einstimmigen Gesangs mit akkordischer Begleitung durch, welche eine viel flexiblere, auch furios temperamentvoll improvisierte Musik im hier und jetzt ermöglichte: Gesang und ein zu Akkorden fähiges Instrument – eine bis heute beliebte und ungemein flexible Kombination. Die als jeweilig »modern« empfundene Musikpraxis rückte zunehmend ins Privatleben der ganz normalen Leute.

Mezari habe nun – wie es heißt – bereits auf den neuen Kontinent der »Seconda pratica« hinübergelugt, zumindest theoretisch. Ihre erhaltenen Kompositionen weisen jedoch noch deutlich Züge des »Stile antico« auf, sind also zeittypisch mehrstimmig gesetzt.

Maddalena Casulana Mezari (um 1544–?)Morir non può il mio cuore

Die vierstimmige Komposition Morir non può il mio cuore (in dieser Aufnahme dicht und expressiv gesungen vom Hilliard Ensemble) beginnt – nicht untypisch für eine Vokalkomposition der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – zunächst einstimmig. Damit geht gleich eine Textausdeutung einher: »Mein Herz kann nicht sterben.« Das »Herz« wird gewissermaßen mittels einer kleinen Terz nach oben einstimmig und zerbrechlich zur Disposition gestellt: »Hier, sieh mein schwaches Herz! Ich bin ganz alleine!« Doch die »inneren Stimmen« des klagenden Protagonisten melden sich – und setzen mitfühlend, barmherzig ein, jedoch mit jeweils viel größeren Intervallen. Geteiltes Leid ist hier doppeltes, nein: dreifaches (imitatorisches/intervallisches) Leid!

Erst nach Vergehen der ersten Textzeile geht es erstmals vierstimmig zur Sache. Eindringlich wird der amourös-tödliche Wunsch hom*ophon besungen: »Ich würde es (das Herz) am liebsten töten.« Das für Menschen mit nicht steinhaltigem Herzen bekannte Dilemma (»Aber ich kann mein Herz nicht aus der Brust reißen.«) wird mittels der Wiederaufnahme des Klein-Terz-Sprunges – dieses Mal mit einer Unterstützung im Tenor – Musik. Die Sopranstimme wandert nach unten: »Wo (also: in der Brust) es (das Herz) lange Zeit gewohnt hat.« Eine merklich ansteigende Tonfolge bringt »Wut« zum Ausdruck: »Und falls ich es töten würde, was ich mir wünschte…«, dann, ja dann: »Dann wüsste ich, dass auch du sterben würdest – und ebenso ich!«

Diese letzte Textzeile nimmt nun in der Gesangwerdung bei Mezari die gesamte zweite Hälfte dieser kurzen Komposition ein. Schmerzlich-chromatisch drängt, dringt, sticht jene Gewissheit, dass der Suizid ja doch nichts brächte, in die Ohren. Die oberen drei Stimmen setzen jeweils von unten an, streben weinend nach oben, fallen sogar mittels Oktavsprüngen zwischenzeitlich auf den Boden der (vitalen) Tatsachen zurück, zittern mitunter sogar mittels einer Achtelüberbindung.

Das Ganze endet in Dur, denn noch lebt man ja. Irgendwie. Muss. Es. Ja. Weiter. Gehen.

Ein kleines Meisterwerk. Vierstimmig. Traurig. Und perfekt gesetzt. ¶

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